Gebäude und Orte, die von Menschen gebaut, genutzt und bewohnt wurden und nun leer und verfallen dastehen, berühren mich immer auf ganz seltsame Weise.
Allerdings scheint das nicht nur mir so zu gehen. Denn in den letzten Jahren haben mehr und mehr Fotografen den besonderen, wehmütigen Reiz dieser Lost Places entdeckt und in oft tiefsinnigen Aufnahmen festgehalten.
Die Faszination verlassener Orte
Einer der ersten Fotografen, die mit der Kamera durch verlassene Villen, aufgegebene Fabriken und über vergessene Straßen streiften, ist der Belgier Henk van Rensbergen. Im Vorwort seines Buches “Abandoned Places” aus dem Lannoo-Verlag beschreibt er seine erste Begegnung mit einem verlassenen Haus: eine Villa am Strand, die wirkte, als wären die Bewohner mitten aus dem Leben heraus einfach verschwunden. Möbel, Geschirr, Hausrat – alles war noch da. Der junge van Rensberg spielte den ganzen Sommerurlaub über in der Villa – und die Faszination ist ihm bis heute geblieben!
Weltweit unterwegs
Sein Beruf als Pilot bringt Henk van Rensbergen in viele Länder. Somit kann er in den Ruhezeiten zwischen den Flügen Orte, die niemand sonst mehr zu brauchen scheint, erforschen und fotografieren.
Mit der Zeit erhielten seine Arbeiten immer mehr Aufmerksamkeit. Dadurch fand sich eine Gruppe Gleichgesinnter, die Henk von Rensbergen die Urban Explorers nennt.
Vergänglichkeit
Die Aufnahmen, die ihm bei seinen Streifzügen gelingen, sind oft spektakulär, wie das während des Sonnenaufgangs fotografierte Buzluzdha Monument in Bulgarien. Aber häufiger noch machen sie nachdenklich, geben den Fragen Raum, die sich beim Betrachten des bröckelnden Putzes und der Einsamkeit unweigerlich stellen.
Manchmal jedoch wirken die Bilder auch fast wie abstrakte Gemälde, die eher Farben und Formen als der realistischen Darstellung verpflichtet sind. Schließlich ist die einstige Gegenständlichkeit durch den Zerfall schon längst in Auflösung begriffen. Und überschreitet die Grenze zwischen Bauwerk und Natur.
Die Atmosphäre festhalten
Ohnehin geht es Henk von Rensbergen beim Fotografieren nicht um die exakte Darstellung der Situation, sondern vielmehr um das Festhalten der einzigartigen Atmosphäre: die Anspannung, die in manchen Gemäuern noch vorhanden zu sein scheint, die Emotionen angesichts geplatzter Träume oder entronnener Albträume und die Überraschung, die einen beim Blick um jede Ecke erfassen kann.
Irgendwie tröstlich
Indes finde ich persönlich es schwierig, meine Gefühle beim Betrachten dieser außergewöhnlichen Fotografien in Worte zu fassen. Wehmut ist dabei, ob all der Arbeit und Mühe, die letztendlich vergeblich war. Verwunderung darüber, wo all die Menschen wohl heute sind und warum sie so viel zurückgelassen haben. Neugier, was man sich wohl bei diesem oder jenem Bauwerk gedacht hat und wie es in intaktem Zustand ausgesehen haben mag.
Und dann schwingt da eine irgendwie kindliche Faszination mit, wie früher, als ich auf Familienausflügen mit meiner Cousine die oder andere Burgruine erkundet habe.
Schließlich ist die Vergänglichkeit, auch die eigene, allgegenwärtig in diesen Fotografien. Obwohl diese Tatsache einige potentielle Betrachter abschrecken mag, hat sie letztendlich aber auch etwas Tröstliches: Am Ende bleibt die Natur!
In “Abandoned Places“ hat Henk van Rensbergen in einem handlichen Format und zu einem erschwinglichen Preis seine besten Arbeiten zusammengetragen. Das Buch zeigt Bilder aus seiner Anfangsphase, häufig in Schwarzweiß gehalten, bis hin zu Fotografien von nur schwer auffindbaren und erreichbaren Orten am anderen Ende der Welt.
Daher sei es allen Fotografie-Liebhabern ebenso ans Herz gelegt wie Henk van Rensbergens Motto für Urban Exploration-Streifzüge:
“Take nothing but photos,
leave nothing but footsteps.”
Abandoned Places
Hardcover, 160 Seiten, 21 x 14 cm, englischsprachig
ISBN 978-9401434775
€ 16,99
Weitere Informationen und faszinierende Fotografien:
www.henkvanrensbergen.com
www.abandoned-places.com
auf Instagram:
https://www.instagram.com/henkvanrensbergen/
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