Das Thema Porträtzeichnen ist ein klassisches Zeichenthema, dem viele mit Respekt und sogar Scheu begegnen. Dass die Kunst, ausdrucksstarke Gesichter zu zeichnen, nicht nur facettenreich ist, sondern auch ganz neue Aspekte bereithalten kann, zeigt das Buch von Antje Linker-Wenzel: “Porträtzeichnen ganz einfach”. Denn diese Neuerscheinung hält neben einem schönen und zeitgemäßen Layout und dem Profiwissen der Künstlerin interessante Denkanstöße für seine Leser und Leserinnen bereit.
Ausdruck und Ähnlichkeit
Vor allem das Statement „Ausdruck ist alles, Ähnlichkeit wird überschätzt“ gleich zu Beginn lässt einen aufmerken. Viel wichtiger als die so oft angestrebte realitätsgetreue Wiedergabe ist es, die Persönlichkeit des Modells ausdrucksstark einzufangen. Die persönliche Sicht des Künstlers oder der Künstlerin spielt immer auch mit in die Darstellung rein.
“Schluss mit Perfektion und Fotorealismus!” lautet folgerichtig die klare Ansage der Autorin gleich auf den ersten Seiten.
Ein Plädoyer für das lebendige Porträt
Antje Linker-Wenzel möchte ihre Leser dazu anregen, ihren eigenen Weg zu finden. Jenseits von Perfektionismus. Dafür aber mit Spaß und Freude am Porträtzeichnen. Für die Künstlerin war es selbst ein langer Weg hin zum ausdrucksstarken Porträt. Und den möchte sie für die Leser gerne verkürzen.
Antje Linker-Wenzel beschreibt in ihrem Buch, wie sie selbst zum lebendigen Porträt fand, indem sie nach dem lockeren, expressiven Ausdruck suchte, der gleichzeitig auch die Persönlichkeit des Porträtierten wiedergibt. Und aus diesem Grund kommt ihr Buch auch weitgehend ohne klassisch-didaktische Anleitungen aus, derer es genügend am Markt gibt. Es ist für all jene gedacht, die einfach loslegen wollen. Antje Linker-Wenzel liefert keine fertigen Rezepte und 1:1-Anleitungen. Dafür gibt es bei ihr jede Menge erfrischender Anregungen zum Experimentieren.
Neue Sichtweisen auf ein altbekanntes Sujet
Es ist spannend zu sehen, wie die Künstlerin Fragen wie „Wo fange ich an?“ oder „Wie werden meine Zeichnungen locker?“ angeht. Ihr Buch ist Inspirationsquelle und facettenreicher Bildband in einem. Und es hält die eine oder andere Überraschung bereit, etwa wenn die Autorin bei dem anspruchsvollen Sujet Porträt erklärt: „Dieses Buch ist für alle, die glauben, nicht zeichnen zu können.“ Ihr Buch nähert sich einem altbekannten Sujet daher auf erfrischend andere Weise.
„Gönnen Sie sich alle Freiheiten, denn hier gibt es keine Rezepte, nur Anregungen.”
Statt Materialfülle eher Verknappung
Statt Materialfülle setzt die Künstlerin für kreative Schübe eher auf Verknappung und Begrenzung. Sie macht deutlich, dass für den Anfang wenige Malmittel reichen. Eine teure Ausrüstung ist nicht nötig. Zudem bringt jedes Material eigene, besondere Ausdrucksmöglichkeiten mit sich. Also plädiert Antje Linker-Wenzel dafür, zunächst das vorhandene Material zu verwenden und seine Möglichkeiten auszuschöpfen.
Entspanntes Porträtzeichnen zur eigenen Freude
Die Künstlerin rät außerdem dazu, den eigenen scharfen Kritiker in sich verstummen zu lassen, wenn sie schreibt: „Seien Sie geduldig und würdigen Sie Ihre ersten Schritte. Haben Sie Ihre Zeichnungen lieb und bewerten Sie sie nicht zu krass.“ Dies gilt ganz besonders für die Anfänger in diesem Sujet. Denn die ersten zaghaften Versuche namhafter Künstler findet man eher selten in den Museen dieser Welt.
Nicht für ein Publikum, für sich selbst zeichnet man, für die eigene Freude an der Sache. Die Künstlerin ermutigt ihre Leser und nimmt dem Anspruchsdenken des eigenen Kritikers so den Wind aus den Segeln.
„Machen Sie sich bewusst:
Sie schaffen etwas Einzigartiges.”
Warm-up für geschmeidige, lockere Porträts
Der Angst vor dem weißen Blatt kann man dabei auf unterschiedliche Art und Weise begegnen. Durch schnelle, spontane Zeichnungen innerhalb weniger Minuten etwa. Oder auch durch Klecksgesichter, die nach dem Trocknen der flüssigen Farbe dann frei nach der Fantasie weitergestaltet werden. Aufwärmübungen sind wichtig für den lockeren, entspannten Strich. Auch Blindzeichnungen und Zeichnungen mit der nicht dominanten Hand sind eine Möglichkeit, „sich locker zum machen“. Der Verweis auf sogenannte „Quick Wins“ erleichtert gerade für Anfänger das Porträtieren.
„Es geht nicht um die große Kunst,
sondern um den großen Spaß.“
Die wichtigsten Faustregeln werden dennoch mitgegeben, denn ganz ohne geht es nun einmal nicht. Auch Materialinfos und die wichtigsten Techniken der Aquarellmalerei, wie das Lasieren und das Lavieren, werden kurz erläutert und vorgestellt.
Inspiration auf breiter Ebene
Als Fazit lässt sich nach der Buchlektüre sagen, dass der Titel von Antje Linker-Wenzel ein eher unkonventionelles Zeichenbuch ist. Bis hin zum abstrakten Porträt hält das Buch viel Interessantes und jede Menge Inspiration für das eigene Zeichen-Erleben bereit. Die Autorin rät zudem dazu, nur die Porträts zu zeichnen, die einen selbst wirklich interessieren.
„Ganz hoch im Kriterien-Kurs stehen bei mir: Spontanität, Lebendigkeit, Abwechslung, Einfachheit, etwas ‘Störendes’.“
Porträtzeichnen ganz einfach
Die Kunst ausdrucksstarker Gesichter
Antje Linker-Wenzel
19 x 25 cm, 144 Seiten, Softcover
Stiebner Verlag
ISBN: 978-3-8307-1455-2
18.- €
Die Künstlerin bietet einen vierwöchigen Online-Kurs zum Buch an: www.linker-wenzel.de
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