Handwerk und Kunst

Handwerkskunst, Kunsthandwerk – schon aus diesen Begriffen wird deutlich, worum es hier geht: die fließende Grenze zwischen klassischem Handwerk und Kunst. In der Bildenden Kunst entsteht kein Bild, keine Skulptur ohne das handwerkliche Wissen und die Fähigkeit, dieses in die Tat umzusetzen. Und im Handwerk entsteht kein überzeugendes Werkstück ohne ein Gefühl für Ästhetik.

Sei es der gedrechselte Knauf am Treppengeländer, der jedes Mal ein warmes Gefühl vermittelt, wenn man mit der Hand darüberstreicht, oder das Lieblingskleid aus dem kleinen Laden in der Altstadt – überall im Alltag begegnet uns Handwerk. Oft haben wir uns schon längst an diese Gegenstände gewöhnt und ganz vergessen, dass hier jemand ganz im wörtlichen Sinne Hand angelegt hat.

"Handwerkskunst. Alltägliches aus Meisterhand", S. 76/77.

Ebenso wie bei einem sorgfältig ausgearbeiteten Aquarell oder einem expressiven Acrylbild geht der handwerklichen Arbeit genaue Überlegung und Planung voraus. Und was für ein Kunstwerk das Zusammenspiel der Botschaft mit der künstlerischen Darstellung ist, ist für das Werkstück die Kombination von Funktionalität und Ästhetik.

Der Künstler ist Handwerker

„Jedenfalls möchte ich keinen Unterschied zwischen Künstler und Handwerker machen, was meiner Überzeugung nach identisch ist. Der Künstler ist Handwerker im Ursinne des Wortes, und es wäre besser, wenn die Kunstjünger weniger von Kunst und mehr vom Handwerk sprächen und verstünden.“

Walter Gropius

Mit diesem Zitat beginnt Matthias Wagner K, Direktor des Museums Angewandte Kunst in Frankfurt am Main sein Vorwort zu dem Band „Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag“. Das Buch begleitet zwar das gleichnamige Ausstellungsprojekt, das noch bis 11.09.2022 in seinem Museum besucht werden kann, ist aber ganz unabhängig davon ein Kompendium der verschiedensten Handwerke. Für Ausstellung und Buch haben sich drei Museen zusammengetan: das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt, das Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen, Dresden, sowie das vorarlberg museum in Bregenz.

"Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag", S. 97.
"Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag", S. 55.

Bekannte und unbekannte Handwerke

In dem 296 Seiten starken Band setzen sich fast 30 Autorinnen und Autoren ganz unterschiedlicher Profession – von Kunstgeschichte über Soziologie bis zur Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft – mit der Rolle des Handwerks in der Gesellschaft auseinander. Der Herkunft der Handwerke wird dabei ebenso nachgegangen wie der Art und Weise, auf die sie sich im Laufe der Zeit verändert haben. Während in vielen Handwerksberufen heute der technisch-maschinelle-elektronische Aspekt im Vordergrund steht, besinnt man sich in anderen wieder zunehmend auf die kunstgewerblichen Ursprünge.

"Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag", S. 46/47.

Die Beiträge beleuchten sowohl verschiedene Handwerke als auch Einzelthemen wie “Handwerk und Inklusion” oder die Bedeutung von handwerklichen Arbeitsschritten in der industriellen Produktion. Dazwischen findet man interessante Fakten und Informationen rund um das Handwerk.

"Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag", S. 116/117.

Mehr Anerkennung!

Die kunsthandwerklichen Techniken und ganz allgemein die Genugtuung, etwas Greifbares zu erschaffen, üben eine große Faszination aus. Daher ist „es schwer nachvollziehbar, weshalb das Image und der soziale Stellenwert des Handwerks nicht nur hierzulande, sondern im ganzen europäischen Raum weit hinter seinen Möglichkeiten und seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung liegen.“ Das schreibt Thomas A. Geisler, Direktor des Kunstgewerbemuseums der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Zusätzlich zur seinem Wunsch, dass dem Handwerk mehr Anerkennung zu Teil werde, möchte er das Handwerk als „Gegenströmung zur Industrialisierung, Automatisierung und Digitalisierung“ sehen.

"Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag", S. 84/85.

Um zum Titel dieses Beitrags zurückzukommen, „Handwerk und Kunst“: Andreas Rudigier, Direktor des vorarlberg museums in Bregenz gibt hier ein eingängiges Beispiel aus seiner Region: Die Bregenzerwälder Barockbaumeister des 17. Jahrhunderts waren Maurer, Zimmerleute und Steinmetze, die zwar meist namentlich nicht überliefert sind, deren künstlerische Arbeiten aber bis in den süddeutschen Raum, das Elsass und die Schweiz heute noch in vielen Kirchen bewundert werden können.

Handwerkskunst im Haushalt

Eine für mich überraschende, wenn auch längst überfällige Würdigung erfährt hier auch das Handwerk, das seit jeher eher im stillen Kämmerlein, nämlich dem Zuhause, ganz selbstverständlich und nebenbei von den Frauen ausgeübt wird: das Handarbeiten. Nähen, Stricken, Häkeln, Sticken und vor allem das Stopfen und Reparieren sorgten über Jahrhunderte dafür, dass die Familie nicht in Sack und Asche gehen musste. Sie galten nicht als eigenständiges Handwerk, und die Fertigkeiten wurden nicht im Rahmen einer offiziellen Lehre weitergegeben, sondern meist innerhalb der Frauen einer Familie. Kerstin Stöver beschreibt in ihrem Beitrag „Vom Verschwinden des Unsichtbaren“ die Rolle der Handarbeit und ihre Renaissance im Zuge der DIY- und Nachhaltigkeitsbewegung.

"Am Fenster", Fritz von Uhde, 1890/91, Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main. Aus: "Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag", S. 194.

Kreativ-konzentrierte Atmosphäre in Atelier und Werkstatt

Weniger akademisch, dafür aber mit Schwerpunkt auf der Vorstellung klassischer Handwerksberufe gehen Dorothee Eisinger und Rolf Hüffer in ihrem Buch „Handwerkskunst! Alltägliches aus Meisterhand“ an das Thema heran.
Mit vielen sehr ästhetisch aufgenommenen Fotos zeigen sie, wie Meisterstücke entstehen – im Schneideratelier, der Drechselwerkstatt oder der Konditorei. Dabei wird deutlich, dass in den Werkstätten dieselbe kreative-konzentrierte Atmosphäre herrscht wie in den Ateliers der Kunstschaffenden.

„Es geht schlicht und einfach um die hohe Kunst, ein scheinbar alltägliches Handwerk perfekt auszuführen.“

Dorothee Eisinger, Rolf Hüffer: „Handwerkskunst! Alltägliches aus Meisterhand“

"Handwerkskunst. Alltägliches aus Meisterhand", S. 88/89.

Handwerk und Handwerker im Porträt

Viele Handwerke sind uns allen ein Begriff, von anderen haben wir noch nie gehört. Schneidern, Backen, Zimmern – klar, das sind Handwerksberufe. Und wenn man musikalisch unterwegs ist, hatte man es sicher auch schon einmal mit einer Instrumentenbauerin oder einem -bauer zu tun. Aber wer war schon einmal in einer Bognerei, einer Messerschmiede oder einer Maßschuh-Schneiderei? Sehr informativ werden die angewandten Techniken beschrieben, welches Material am besten ist und worauf es sonst noch ankommt.

"Handwerkskunst. Alltägliches aus Meisterhand", S. 10/11.

Und weil das ausgeübte Handwerk und die Perfektion, die man sich im Laufe der Jahre mühevoll erarbeitet hat, auch eine sehr persönliche Sache sind, wird jedes vorgestellte Handwerk mit dem Porträt eines Handwerkers verknüpft. Ein kleiner Fragenkatalog rundet den Einblick in diese faszinierende Welt ab. Ihre Antworten auf wichtige Fragen wie „Welches ist der kniffeligste Arbeitsschritt?“, „Welches ist der glücklichste Moment“ und „Was lieben Sie an Ihrem Beruf?“ geben dabei einen eingehenden Eindruck vom Reiz dieser ganz unterschiedlichen Handwerke.

"Handwerkskunst. Alltägliches aus Meisterhand", S. 34/35.

Mit Ernsthaftigkeit und Hingabe

Warum das Handwerk nach langer Flaute wieder zunehmende Faszination ausübt?

„Weil hier die Sehnsucht nach handfestem Gestalten in unserer digital geprägten Kommunikationswelt erfüllt wird.
Weil Werkstücke mit eigenen Händen sichtbar geschaffen werden.“

Dorothee Eisinger, Rolf Hüffer: „Handwerkskunst! Alltägliches aus Meisterhand“

Mythos Handwerk

Zwischen Ideal und Alltag

Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main

18 x 26,2 cm, 296 Seiten, Taschenbuch
Verlag für moderne Kunst
ISBN 9783903439092
28,- €

HandwerksKunst!

Alltägliches aus Meisterhand

Dorothee Eisinger, Rolf Hüffner

19,8 x 25,9 cm, 144 Seiten, Hardcover
Belser
ISBN 9783763028825
25,- €

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Eine Antwort auf „Handwerk und Kunst“

  1. Ich baue gerade aus Holz einen Kinder Market. Also einen Gemüsestand, es macht Spass mit Holz zu arbeiten. Zuschneiden, schleifen, inprägnieren, bohren und verschrauben. Das aus einem Tisch der im Sperrmüll lag. Der Tisch ist aus Fichtenholz, sehr gutes Holz.

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